1. Todestag

Am 19.03.2014 erschien diese Anzeige in unserer Lokalzeitung, zum Gedenken an unseren Christoph, zu seinem ersten Todestag:

 

 

 

Ich habe in einem Buch: "Voll doof tot zu sein, wenn alle traurig sind" folgenden Text gefunden, von einer Mama zum ersten Todestag für ihren Sohn verfasst, der mir so unglaublich aus der Seele spricht, dass ich ihn hier gerne mit rein stellen möchte! Es ist als hätte ich diesen Text selbst geschrieben, denn jedes Wort, ist exakt dass, was ich selbst empfinde....

 

von Susi R.:

Unser erstes Jahr ohne Dich!!!!!

 

Jeder Tag, der vergeht, trennt uns ein Stück mehr von der gemeinsamen Zeit und lässt die Sehnsucht nach dir wachsen. Einerseits schmerzt es, wie viel Zeit schon ohne dich vergangen ist. Andererseits ist sie gelebt und hat uns ein Stück näher zu dir gebracht. Wir leben in der Vergangenheit und versuchen unsere Gegenwart und unsere Zukunft zu meistern. Es ist ein paradoxes Leben, in das uns dein Tod geworfen hat.

 

Wir existieren im Hier und Jetzt. So zu leben ist das, was wir nun tun. Von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute. Die Zeit fliegt an uns vorbei, rücksichtslos und lässt uns verzweifelt zurück.

 

Der Glaube, das es dir gut geht, dort wo du jetzt bist, hilft uns manchmal mehr, manchmal weniger. Wir wissen, dass du in unserer Nähe bist, uns manchmal Zeichen gibst und manchmal auch einen kleinen Schubs in die richtige Richtung. Die Sehnsucht nach dir ist oft nicht zu ertragen, aber unsere Liebe zu dir ist schließlich auch riesengroß.

 

Du bist mir nah, wenn ich mir fern bin. Du hörst mich, wenn ich sprachlos bin. Du weist mir den Weg, wenn ich mich verlaufen habe. Du kennst die Lösung, wenn ich mich verrechnet habe. Du hältst die Richtung, wenn ich ins Schleudern gerate.

 

Die Einsamkeit – obwohl das Leben um uns herum pulsiert und wir meistens gezwungen sind, mit diesem Strom zu schwimmen – ist eigentlich das Schlimmste. Wie sollen wir mit dieser Endgültigkeit umgehen, damit fertig zu werden, wenn das Wörtchen „nie“ eine ganz neue Gewichtung bekommt. Dieses „nie mehr“ … unvorstellbar und doch Realität. Jeden Tag wird uns bewusst, dass wir lernen müssen, mit dieser Endgültigkeit zu leben und jeden Tag merken wir, dass wir an unsere Grenzen stoßen.

 

Das Wissen, keine Erklärung für das Geschehene finden zu können, lässt uns nicht zur Ruhe kommen. Oft fragen wir uns, ob man irgendwann wieder Freude, Leichtigkeit und vor allem einen Sinn empfinden kann? Vielleicht möchten wir dies derzeit gar nicht zulassen. Zu tief ist der Schmerz. Wir sind sehr dünnhäutig geworden und damit verletzbar. Es bleibt keine Kraft übrig für Diskussionen, für Rechtfertigungen, für vergebliche Versuche, uns anderen verständlich zu machen. Wenn wir es versuchen, spüren wir, wie die Kraft, die wir gerade mühsam wieder gesammelt haben, verloren geht.

 

Unsere Trauer können wir nicht abarbeiten, bis sie weg ist. Unsere Trauer gehört nun zu unserem Leben. Mit der Trauer zu leben – heißt: mit einer Amputation zu leben. Egal, was man tut, egal, ob man fröhlich ist oder traurig, man ist und bleibt amputiert. Es ist ein Zustand, der nicht rückgängig zu machen ist. Es ist etwas abgetrennt, das nicht nachwachsen kann. Wir haben noch immer diese schrecklichen „Phantomschmerzen“, diese brennende Sehnsucht nach dir, als einen Teil von uns selbst, weggerissen von unserer Seite, herausgerissen aus unserer Welt.

 

Du warst und bist etwas ganz besonderes für uns. Wir hätten uns noch so viel zu sagen gehabt. Aber dies ist seit deinem Weggang für immer ein unerfüllbarer Wunsch. Mit deinem Tod ist ein großer Teil unserer Zukunft verloren gegangen. Nie werden wir deinen Schulabschluss, deine Berufsausbildung, deine Heirat erleben, nie Großeltern deiner Kinder sein. Wir können uns nicht in die Arme nehmen, nicht in die Augen sehen, nicht berühren, nicht miteinander reden, uns nicht sagen, das wir uns lieb haben oder auch uns streiten und unsere verschiedenen Ansichten über Dinge mitteilen.

 

Heute vor einem Jahr durften wir dich zum allerletzen Mal in unserem Leben in die Arme nehmen, dich spüren, mit dir reden…

 

Du hast diese Welt für immer verlassen und wir müssen akzeptieren, dass unsere Zeit noch nicht gekommen ist. Aber wir halten fest an dem Glauben, dass wir uns wieder sehen.

 

Wir haben eine Last zu tragen, die uns oft tief fallen lässt. Doch immer wenn es nötig ist, erinnern wir uns daran, dass die Alternative wäre, auf der Welt zu sein, ohne diese besondere Beziehung gehabt zu haben. Nicht deine Eltern gewesen zu sein. Eltern für so einen wundervollen Sohn. Der seelische Schmerz, den wir durchmachen, steht für die Liebe zu einem Kind. Der größte Reichtum unseres Lebens.

 

Wir hoffen, im Laufe der Zeit werden die Tiefs überschaubarer, ja vielleicht sogar vorhersehbarer und seltener und nicht mehr so lang anhaltend, weil wir anfangen zu lernen, mit deinem Verlust zu leben. Nach außen hin wirken wir wohl auf viele Menschen wieder ganz normal und erwecken den Eindruck, mit deinem Tod klarzukommen. Sie können nicht wissen um unsere Trauer in ständigem Auf und Ab. Nur wir wissen das, dass alles dauern wird bis zu unserem eigenem Tod.

 

Durch deinen Tod sind wir in kleine Stücke zerschmettert worden und seitdem sind wir dabei, die wichtigsten Scherben aufzusammeln und wieder zusammenzusetzen. Dabei finden wir Stücke, die wir nicht mehr brauchen. Es gibt Stücke, die unwiederbringlich verloren sind – und wir entdecken Stücke, die wir bisher gar nicht wahrgenommen haben.

 

So werden wir als Mensch, der nach dem Zusammensetzen dieser Scherben entsteht, noch mehr verändert sein. Mit Lücken und Löchern, mit Bruchkanten und Klebestellen … aber … mit der gleichen Seele. Wir brauchen all unsere Kraft, um unseren Weg aus diesem Trümmerhaufen herauszufinden.

 

Mit der Zeit haben wir erkannt, dass unsere Trauer in erster Linie ein einsamer Weg sein wird und dass dieser Weg immer wieder durch unser tiefstes Inneres führt – und wir die Wahl haben, dort in der qualvollen Tiefe zu verharren, selbst schrittweise zu sterben oder an die Oberfläche zu steigen und uns dem Schicksal zu stellen. Dies ist der beschwerlichere Weg. Zu sterben wäre leichter. Zu leben heißt, sich dem Schmerz über diesen unersetzbaren Verlust zu stellen, sich zu verändern, zu spüren, dass man, wenn man aus diesem Prozess der Trauer hervorgeht, niemals mehr der Mensch sein können wird, der man früher war. Man hat dort unten sein altes Ich zurückgelassen, man ist gereift und hat sich gehäutet.

 

Seit deinem Tod haben wir ein neues und intensives Bewusstsein entwickelt, was das Leben nicht unbedingt leichter macht, aber uns hilft zu verstehen.

Viele Dinge, die früher wichtig waren, sind bedeutungslos. Umgekehrt haben Dinge, die früher nicht so wichtig waren, große Bedeutung bekommen. Mit dem Tod hat eine neue Zeitrechnung begonnen.

 

Dieses „WARUM“ steht immer noch unbeantwortet im Raum und dort wird es wohl immer stehen, solange wir leben. Schuldgefühle rauben uns oft den Verstand, alles ist so nah, als wäre es gestern gewesen.

 

Heute haben wir oft Angst, dass wir uns niemals mehr in dieser Welt zurechtfinden werden, fühlen uns unsicher, nicht angenommen und teilweise sogar von einigen Menschen gemieden, von denen wir ehemals glaubten, dass sie uns nahe stehen. Nur die Mutigen und die ganz Treuen blieben uns, und diese Menschen sind wertvoller als je zuvor. Wir haben ihnen viel zu verdanken.

 

Unser heutiges Leben ist durch neue Maßstäbe geprägt, und seltsam ist die Erkenntnis, dass uns die Angst verloren gegangen ist, denn unser Gefühl sagt uns: Was kann schon noch Schlimmes passieren? Wir haben die Angst vor dem Tod verloren. Der Tod ist zu einem Freund für uns geworden, weil er uns mit dir wieder verbindet. Es ist dieser unendliche Schmerz, der ohnmächtig macht, der lebensmüde macht, der einen so tief fallen lässt, dass man nicht mehr weiß, wie man damit umgeht. Unser Leben so, wie es jetzt ist, ist ein einziges Suchen, Fragen und Fühlen.

 

Wir fragen uns oft: Was war die Botschaft deines viel zu kurzen Lebens? Was wolltest du uns sagen, welche Spur hast du in diese Welt eingegraben?

 

Jede Jahreszeit, jeder Weg, jeder Handgriff müssen neu erfahren werden. Der Frühling kommt und mit ihm das Gefühl, dass wir alle Jahreszeiten nun ohne dich gelebt haben. Wir mussten und müssen immer noch lernen, Weihnachten, Ostern, deinen Geburtstag, unsere Geburtstage und alle anderen Festtage ohne dich zu begehen. Nie wieder wird es so schön werden, wie es war. Solche Festtage sind einfach nur Tage, die ganz besonders schmerzvoll sind. Wir hoffen, dass es mit den Jahren etwas leichter wird, diese Tage zu begehen, dieses Leben zu leben.

 

Bei allem Leid sind wir aber auch froh und dankbar dafür, dass wir noch deine Geschwister auf ihrem Weg in die Zukunft begleiten dürfen. Für sie lohnt es sich weiterzuleben, in ihnen sehen wir unseren Sinn für ein Weiterleben.

 

Die Geschwisterkinder haben es besonders schwer. Sie haben nicht nur ihren Bruder verloren, sondern müssen gleichzeitig mit völlig veränderten Eltern klarkommen. So sieht es nun aus nach einem Jahr…